November| 2024 – Interview mit Lisa Borrmann 

Welche Bedeutung hat die Stimme für trans* Personen?

Die Bedeutung ist sicherlich unterschiedlich. Da wir Menschen uns als soziale Individuen nicht ausschließlich durch uns selbst, sondern auch durch die Außenwirkung definieren, ist für Klient/innen das sogenannte „Passing“ (von Außenstehenden im eigenen Geschlecht erkannt werden) auch wichtig. Die Stimme ist hierbei ein prägnantes Merkmal, dass wir auditiv sogar unserer visuellen Präsens vorausschicken können und welches den ersten Eindruck entscheidend prägen kann. Zudem hört man sich auch selbst und wünscht sich hier ebenfalls einen „stimmigen“ Selbsteindruck.

Inwiefern unterscheiden sich männliche und weibliche Stimmen?

Die Stimmen unterscheiden sich statistisch genderspezifisch in der Tonhöhe (Frauen hier in erhöhter Frequenzlage), der Resonanz (Hall der Stimme eher im Brustbereich, oder Richtung Kopf), der Stimmfunktion (Art und Weise der Stimmlippenschwingung und Nutzung der betreffenden Muskulatur),dem Betonungsmuster und der Artikulation. Dies ist allerdings eine sehr stereotypische Einordnung, die in unserer Therapie lediglich als Anhaltspunkt dient. Die Anforderungen und Wünsche bezüglich der eigenen Stimmwirkung können in der Realität sehr individuell sein. Auch in den Schnittmengen von Merkmalsüberschneidungen, die dann statistisch eher genderneutral betrachtet würden, kann ein Ziel in der Therapie liegen. Hier kann z.B. dann eine nicht ganz so hohe Stimme mit angepassten sonstigen Merkmalen bei der Stimmfeminisierung ein gewünschtes Resultat erzeugen, was der Klientin auf Dauer machbarer und authentischer erscheint.

Durch die Gabe von Testosteron bei trans*Männern wächst der Kehlkopf. Gibt es deshalb einen Unterschied im Vorgehen bei trans*Männern und trans*Frauen?

Bei trans* Frauen ändert die Östrogeneinnahme wenig an den bereits ausgewachsenen Strukturen auf Kehlkopfebene, bzw. kann die Einnahme die Größe und das Gewicht des Kehlkopfes nicht ändern. Daher kann in diesem Fall eine Stimmveränderung nur habituell durch Stimmtherapie oder operativ beeinflusst werden. Bei trans* Männern hingegen verdicken sich die Stimmlippen mit der Einnahme von Testosteron und ihre sogenannte Randschwingung nimmt zu. Außerdem wird die Muskelaktivität im Kehlkopf erhöht, wobei die Größe des eigentlichen Kehlkopfes allerdings beibehalten wird. Die beschriebene Veränderung führt bei den Klienten oft zu einem zufriedenstellenden Stimmeindruck/Stimmbruch mit vollerem und tieferem Klang. Der schnelle Zuwachs an Masse sollte aber im besten Fall auch therapeutisch begleitet werden, da der Organismus mit einer plötzlich stark veränderten Physiologie konfrontiert ist und es während und nach dem Stimmbruch zu stimmlichen Fehlnutzungen und Überlastungen kommen kann.

Wie ist das Vorgehen bei der Stimmtransitionstherapie?

Zu Beginn werden Informationen zur Anatomie und Funktion der Stimme gegeben. Außerdem findet eine umfangreiche Diagnostik statt, um auch möglicherweise vorhandene sogenannte Stimmstörungen auszuschließen oder zuerst zu behandeln. Im Anschluss erfolgt die Manipulation des Stimmklangs zunächst sehr isoliert und wird dann immer weiter ausgebaut bis irgendwann ein kompletter Übertrag auf den Alltag möglich wird.  Die Veränderung in kleinen alltäglichen Situationen ist allerdings schon von Beginn an ein Thema, damit die Zielsprechweise immer mehr ins eigene motorische Programm übernommen wird. Während der Therapie stellt die Rückmeldung der Therapeutin einen ebenso wichtigen Bestandteil dar, wie die eigene Möglichkeit zur Reflexion und Identifizierbarkeit des eigenen Übens. Daher wird mit den Patientinnen immer genau über die einzelnen Parameter gesprochen, die den Stimmklang ausmachen und gemeinsam anhand von Aufnahmen ausgewertet.

Wer kann die Stimmtransitionstherapie in Anspruch nehmen?

Für die Therapie ist eine vom Arzt ausgestellte Verordnung notwendig. Psychologische Gutachten oder Ähnliches müssen bei uns nicht vorgelegt werden.

Lässt sich abschätzen, wie lange die Transition der Stimme dauert?

Das kann variieren und kommt beispielsweise auf die Lebensumstände der behandelten Person, sowie deren Möglichkeit zum regelmäßigen Üben an. Häufig beträgt die Behandlungsdauer aber etwa ein Jahr.

Wie definiert sich ein Erfolg in der Stimmtransition ?

Wenn die Patientinnen gut über ihre Stimme informiert, mit ihr zufrieden sind und diese ohne Beschwerden wie Heiserkeit im Alltag verwenden können.

Inwiefern können die Patientinnen den finalen Stimmklang beeinflussen?

Der Klang und dessen Eindruck beim Zuhörer können vor Allem durch die Tonhöhe, die Resonanz, die Behauchtheit , die Stimmeinsätze und die Sprechmelodie (Betonung) beeinflusst werden.

Was sind die Voraussetzungen für den Start einer Stimmtherapie?

Ein Rezept und Zeit sowie Motivation zu üben.

 

 

 

Fortbildungsseminar mit Dr. Barbara Zollinger - Logopädie Zentral Hamburg Mitte